Lebensraum & das Kuvert



Lebensraum & das Kuvert

Ein junges Paar wandte sich an Max. Sie suchten nach einem Lebensraum, der zu ihnen passte. Entwürfe gab es bereits. Bis hin zu fertigen Plänen. Und doch blieb ein Rest Unsicherheit. Eine Empfehlung brachte sie zu Max.

Max hörte zu und überraschte sie mit einem unkonventionellen Vorschlag:„Ich sehe mir die vorhandenen Pläne nicht an. Legt alles, was ihr habt, in ein verschlossenes Kuvert bis zur neuen Entwurfspräsentation. Sollten wir am Ende doch eine Idee aus euren Unterlagen brauchen, halbiere ich mein Honorar dafür.“

Er wollte nicht in bekannten Spuren starten. Das Grundstück war anspruchsvoll; jede Voreinstellung hätte den Blick verengt. „Wenn ihr das Potenzial eines Planers wirklich nutzen wollt“, sagte er, „dann gebt ihm und euch zuerst die Freiheit ohne vorhanden Ideen.“

Zuerst klärten sie Lage, Fragen, Unklarheiten. Max skizzierte die möglichen Schritte vom Entwurf bis zur Realisierung und gab fachliche Orientierung. Dann begann die eigentliche Arbeit: Sie ergründeten persönliche und gemeinsame Anforderungen, legten einen Projektrahmen fest—Funktionen, Räume, Flächen, eine Grobkostenschätzung. Die einzige Vorgabe: Massivholzbauweise, eine Empfehlung, die Max seit Jahren vertritt. Alles andere blieb bewusst offen.

Baurechtlich gab es keine besonderen Hürden. Punktuell floss ein Werkzeug der Resonanzmethode ein—gerade genug, um Blickwinkel zu weiten, ohne zu mystifizieren. Laut Bauherren veränderte sich dadurch der Horizont: Andere Fragen, andere Prioritäten, andere Möglichkeiten. Plötzlich passten die bisherigen Varianten nicht mehr. Aus dem Kuvert wurde ein Symbol: Man brauchte es nicht zu öffnen.

Gemeinsam schärften sie den Projektrahmen und entwickelten ein Funktionskonzept, auch über mögliche Geschossvarianten. Erst als der Überblick stimmte, erteilten die Bauherren den Entwurfsauftrag. Max präsentierte mehrere Konzepte—jeweils mit Für und Wider, mit Räumen, die sprachen, und Wegen, die man gehen konnte. Bei der Konzeptpräsentation war klar: Das Kuvert mit den alten Plänen blieb geschlossen. Für immer.

Die Entscheidung war die eigentliche Herausforderung: Aus mehreren stimmigen Möglichkeiten die optimale Variante wählen. Für die gewählte Linie optimierte Max die Grundrisse reflektiert; parallel dazu entwickelte sich die Außengestaltung in Varianten, bis Form und Haltung zusammenfanden.

Bevor der Stift zur Einreichung ansetzte, stimmten sie die Lösungen mit den Ausführenden ab, klärten Themen, entschieden Details. Die Genehmigungsplanung entstand ohne Eile und ohne Zeitverlust. Mit den Holzbauern wurden die Ausführungspläne feinjustiert. Es folgte eine Realisierung, die so effizient wie freudvoll war—mit spürbarer Eigenleistung der Bauherren, wo sie sinnvoll war.

Am Ende stand ein Haus, das funktionell, ästhetisch und präzise auf die Anforderungen der beiden abgestimmt war. Heute leben sie dort zu viert—zwei Kinder sind inzwischen dazugekommen. Die Siedlungsfeier steigt, wie der Bauherr schmunzelnd sagt, meist bei ihnen: in der geräumigen Garage und am Vorplatz des Hauses.

 

Manchmal ist die beste Idee die, die man nicht anschaut, damit eine bessere entstehen kann.